Espresso vs. Handfilter-Kaffee
von Ralph Ziegenhorn
Schwarze Leidenschaft: Espresso
Wie dickflüssiges Motorenöl fließt er langsam in die vorgewärmte Tasse – der Espresso. Und genau wie in einer Autowerkstatt für Oldtimer hat seine Zubereitung auch etwas Mechanisches: geformtes Blech, verchromte Rohre, laute Geräusche. Der fertige Espresso ist nun in der dickwandigen Tasse, gekrönt von einem feinporigem Schaum, der Crema. Der hohe Druck, mit dem das Wasser auf den fein gemahlenen Kaffee trifft, löst aus ihm in kurzer Zeit Öle und kleinste Schwebeteilchen. Eine Dichte aus Geschmack und Aromen, die im Espesso konzentriert ist, bietet die Grundlage für viele beliebte Kaffeekreationen, wie Americano, Latte Macchiato oder Cappuccino.
Praktische Sympathie: Handfilter-Kaffee
Beim Handfilter-Kaffee denke ich immer zuerst an meine Oma Paula und an ihren Wasserkessel, der lautstark zu pfeifen anfing, sobald das Wasser kochte. Und an die weiß emaillierte Kaffeedose erinnere ich mich auch noch, auf der in blauen geschwungenen Buchstaben „Kaffee“ stand. Es duftete und ein paar Löffel davon kamen in den weißen Keramikfilter. Schwungvoll wurde Wasser aus dem Kessel gegossen – die einfache Schwerkraft zog das heiße Wasser durch den gemahlenen Kaffee und Papierfilter.
Heute erfreut sich der Filterkaffee einer Renaissance bei Kaffeefreunden, die nicht einfach nur auf einen Knopf drücken wollen. Selber machen ist wieder angesagt und die Kaffeezubereitung wird zur Zeremonie. Dabei unterscheidet sich das Aufbrühen von handgefiltertem Kaffee heute deutlich im Vergleich zu früher. Es wird viel genauer dosiert und vorsichtiger aufgebrüht. Aber Oma bleibt in Gedanken immer dabei!
Espresso Lifestyle
Wenn man heute im Café einen Espresso bestellt und ihn in der Sonne an einem Bistrotisch in der Fußgängerzone trinkt, schwingt auch immer ein bisschen Italienurlaub mit oder zumindest italienische Leidenschaft, la dolce vita. Die Kunst, das Leben zu genießen. Das, was wir Deutschen gerne auch so gut können wollen, scheint doch unvereinbar mit deutscher Präzision und Zuverlässigkeit. Der Espresso ist immer schnell serviert und, wenn man nicht aufpasst, auch schnell kalt. Der Kenner trinkt Espresso ohne Zucker und genießt die rauchigen Röstaromen oder die vielschichtigen fruchtig-schokoladigen Geschmacksnoten. Espresso ist nicht nur Genuss, sondern auch Symbol eines Lifestyles.
Die Hürde des selbstgemachten Espressos
Wir sind bereit, den Preis dafür zu bezahlen. Ist es nicht so, dass selbst mit der teuersten Maschine der Espresso erst richtig schmeckt, nachdem die Maschine soundsoviele Espressos gemacht hat? Dabei liegt es an der Fähigkeit des Bedieners – auch der Heim-Barista braucht Grundkenntnisse über Kaffee und eine Begabung, Fehler im Espresso herauszuschmecken, sie durch eine veränderte Zubereitung zu beseitigen. Immer wieder muss er/sie den Mahlgrad des Kaffeemehls und seine Dosierung anpassen, mit der richtigen Temperatur den Espresso-Shot ziehen und sich eine Routine von Handgriffen aneignen, die optimale Sauberkeit und Pflege der Maschine gewährleisten. Einen trinkbaren Espresso herzustellen, ist bei weitem schwieriger, als einen handgefilterten Kaffee aufzubrühen. Und auch bei dem kann man schon vieles falsch machen.
Praktisch: der Handfilter-Kaffee
Die Kaffeezubereitung mit dem Handfilter geht, gerade bei größeren Mengen, schneller als mit der Espressomaschine. Auch die Reinigung der Zubereitungsutensilien ist schnell erledigt. Der Papierfilter mit dem verbrauchten Kaffeemehl rutscht nach dem Aufbrühen einfach in den Mülleimer. An die Stelle der italienischen Leidenschaft tritt das Praktische.
Handfilter-Kaffee als Zeremonie
Die neue Art, einen handgefilterten Kaffee aufzubrühen, benötigt das richtige Zubehör und eine Liebe zum Detail. Im Gegensatz zur Espressozubereitung ist der handgefilterte Kaffee ein Kinderspiel und bei weitem nicht mit einer so großen Anfangsinvestition verbunden. Eine Grundausstattung bestehend aus einem Keramik-Filter, einer Handkaffeemühle, einer digitalen Küchenwaage und einem Aufgußkessel mit geschwungener Ausgusstülle sind für ca. 100€ zu haben.
Nicht nur der Barista im Café – auch ich in meiner heimischen Küche möchte die Einflussfaktoren, wie Mahlgrad, Mengenverhältnis und Wassertemperatur kontrollieren. Ohne Kaffeemühle, digitale Küchenwaage und Thermometer zum präzisen Feststellen der Wassertemperatur wird es schwierig, einen sehr guten Kaffee zuzubereiten und das Ergebnis am nächsten Morgen zu wiederholen. Und natürlich ist die Grundvorraussetzung für jeden guten Kaffee: frisch geröstete Kaffeebohnen.
Espresso vs. Handfilter-Kaffee – in Freundschaft miteinander
Dem Handfilter haftet zu Unrecht, wie ich finde, ein negatives Image an. Zu schnell werden Erinnerungen vom gemahlenen, vakuumverpackten Billig-Kaffee aus dem Supermarkt wach, der dann nur mit einem Schuss Milch erträglich wurde. Es reichte, wenn der Kaffee heiß und stark war, denn mehr konnte er sowieso nicht.
Auch wenn sich mit Espresso und Handfilter-Kaffee der leidenschaftliche Italiener und der praktische Deutsche gegenüber stehen – beide haben ihren Platz in meinem Alltag. Manchmal ist es der Mini-Italienurlaub und dann wieder die Kaffeezeremonie mit Erinnerungen an Oma.
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